Sagenstark. Titelbild. Die Ungläubigen vom Höllchöpfli

Die Unglücklichen vom Höllchöpfli

Von Rumisberg hat man eine schöne Weitsicht über das Mittelland bis zu den Alpen. Etwas oberhalb des Dorfes, am Weg zum Höllchöpfli, stand einst ein Hof, wo ein Bauer mit seiner Frau und einem Kinde wohnte. Man hörte ihren schönen Gesang, wenn sie sonntags über die Weiden zur Kirche ins Tal hinunter gingen.

Bevor das Kind sein zehntes Jahr vollendet hatte, kam Unheil über die Familie. Eines Abends entdeckte der Bauer sein Kind, es lag am Waldrand, von harter Hand ums Leben gebracht. Wer es getötet hatte, blieb im Dunkeln. Ob ein Fremder über das Höllchöpfli gekommen war oder ob einer aus dem Dorf sich ihm genähert hatte, blieb ungeklärt.

Es herrschte grosse Angst und Misstrauen im Dorf. Die Menschen beteten, dass Gott ihnen beistehe. Der Bauer und seine Frau jedoch fielen vom Glauben ab. «Wenn Gott unser Kind genommen hat, so ist das nicht mehr unser Gott», sagten sie zueinander. Sie entfernten die Kruzifixe aus ihrem Heim und warfen sie auf ein Feuer. Sie mieden die Kirche und arbeiteten an Sonntagen.
Es ging nicht lange, da trat der Pfarrer in ihre Stube und fragte sie: «Ihr Bauersleute, warum glaubt ihr nicht?»

Sie antworteten: «Wir liebten Gott, und wir liebten unser Kind. Doch er hat uns das Kind geraubt und trachtet nach unserem Leben. Was bleibt uns, als uns vor ihm zu schützen und seinen Namen nicht mehr zu nennen?» Der Pfarrer verliess bestürzt die Stube. Im Freien bekreuzigte er sich dreimal und begab sich ins Tal hinunter.

In der nächsten Nacht stand der Hof in Flammen. Niemand eilte den Bauersleuten zu Hilfe, um das Feuer zu bekämpfen. So brannte das Haus bis auf den Grund nieder. Da dem Bauern und seiner Frau nichts mehr geblieben war, baten sie bei Nachbarn und im Dorf um Obdach. Doch keiner öffnete ihnen das Haus.

So mussten sie das Dorf verlassen. Der Hof wurde nie wieder aufgebaut. Wer nachts durch den Wald hinauf zum Höllchöpfli wandert, hört manchmal das Flüstern des verstorbenen Kindes, das seine Eltern sucht.

4 Gedanken zu “Die Unglücklichen vom Höllchöpfli

  1. Wunderbar! Wieder sind Zeichnung und Text Meisterwerke. Die Sprache ist diesmal besonders beeindruckend, in der Kargheit der Worte liegt eine existenzielle Wucht.

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  2. Aus Versehen bin ich heute wieder aufs DIE UNGLÜCKLICHEN VOM HÖLLCHÖPFLI gestossen (und dachte, es sei Eure aktuelle Sage) – sie gefiel mir sofort SEHR in Wort und Bild.

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