Die Schuhspitzen von Herrn Randegger zeigten nach oben. Eine Frau im Totenzimmer sagte zu mir: «Kind, er ist jetzt im Himmel.» – Nein, sicher nicht, dachte ich. Der Randegger ist böse. Der kommt in die Hölle. Dort wird es ihm schlecht gehen. Der Teufel wird ihn mit dem Dreizack stechen!
Der Randegger hasste Kinder, das sagte sogar Herbie. Ich hatte einen Fussball zum achten Geburtstag erhalten. Einen aus Leder, mit einem WM-Maskottchen drauf. Als der Ball in seine Gartenhälfte gekullert war, hatte der Randegger ihn schnell ergriffen. Seither war ich ohne Ball. Alle anderen Buben hatten einen.
Mein Zeigefinger berührte den rauen Stoff seines Jacketts und sank ein wenig ein. Im gleichen Moment spürte ich, wie ein heisser Blitz durch meinen Körper fuhr. Hatte sich der Randegger bewegt? Ich zuckte zurück und sagte zur der Frau: «Ich muss heim.»
Abends setzte sich meine Mutter auf den Bettrand und sagte: «Was denkst du, wo Herr Randegger jetzt ist?» Ich schaute zur Wand und gab keine Antwort. Als ich fragte, wohin man ihn jetzt bringen würde, meinte sie, er bleibe im Totenzimmer im Nachbarhaus liegen.
Ich konnte schlecht einschlafen und wälzte mich hin und her. Horchte immer wieder, welche Geräusche im Garten zu hören waren. Mal hörte ich ein seltsames Rascheln. Mal war es ein leises, metallisches Klingeln. Und zuletzt ein Flüstern.
Mitten in der Nacht schreckte ich auf. Vorsichtig linste ich zwischen den Vorhängen hindurch in den Garten hinunter. Der Randegger stand dort. Unter dem Arm trug er etwas, was ich in der Dunkelheit nicht erkennen konnte. Vielleicht ein Kopf! dachte ich. Der Randegger schaute zu meinem Fenster hoch, dann näherte er sich zu meinem Entsetzen unserem Haus.
Ich hielt den Atem an. Aus dem Parterre vernahm ich die Eingangstür. Dann das Knarren der Diele. Eine Sekunde später stolperte jemand über das Trümmerfeld der Schuhe, das dort lag. «Hilfe!» rief ich. Dann raffte ich die Spielzeugautos zusammen, die neben der Comic-Kiste lagen, und stellte mich aufs Bett. In die Linke nahm ich den schweren Laster, in die Rechte den spitzen Bagger. Der Randegger kam die Treppe zu den Schlafzimmern hoch. Ich schrie weiter um Hilfe. Dann erschien er in der Türöffnung und starrte mich an. Ich schleuderte den Bagger und den Laster nach ihm, traf jedoch daneben. Dann schleuderte ich weitere Autos, so schnell ich konnte. Bis plötzlich das Licht anging: meine Eltern!
«Weisst du eigentlich, wie spät es ist?» brummte der Vater.
Sie nahmen mich in den Arm und versuchten, zwei Autos aus meinen Händen zu befreien. Es verging sicher eine Stunde, bis das Schluchzen mich nicht mehr schüttelte und ausser unseren Atemzügen nichts mehr zu hören war. «Sieh mal!» sagte meine Mutter. «Da liegt ja dein Fussball! Ist er also doch noch zum Vorschein gekommen? Wie schön. Und jetzt schlafen wir.»
Drei Tage später hiess es, der Randegger sei jetzt beerdigt. Ich war froh. Mit dem Ball spielen wollte ich natürlich nicht mehr. Das war ein Totenball. Also schenkte ich ihn halt Herbie.
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Hier hat mich ganz speziell die Zeichnung in den Bann gezogen. Danke!
Maria
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