Sagenstark, Neue Sagen von den Sagenstarken. Zugdurchfahrt

Am Bahnhof Rheinfelden

Ein Xylophon-Doppelklang fliegt über das Perron.

Aus versteckten Lautsprecherboxen spricht eine freundliche Männerstimme:
Vorsicht. Zugdurchfahrt. Gleis drei.

Sie klingt sanft
und gleichzeitig alarmierend
als wäre dies ein Aufruf an alle Wartenden auf dem Perron
als hätten sie noch Zeit, sich in Sicherheit zu bringen.

Neben dem Perron liegt das Gleisbett
und die Schienen laufen aufeinander zu
bis zu jenem Punkt
woher der Zug nahen soll
wo Luftschwaden flirren.

Die Lokomotive wird sichtbar
ihre drei Lichter
werden rasch grösser
wachsen schnell
die Schienen zischeln
daraus wird ein gefährliches Singen
ein quälender, hoher Ton, der durch die Schienen dringt und sich in ein Donnern verwandelt.

Die Lokomotive stürmt wie ein Schlägertrupp heran
brausend, höllisch laut und gross
rast durch den Bahnhof
und zieht Güterwaggons und Erdöltanks und Aluminiumcontainer hinter sich her
die toben und quietschen und gellen und donnern und rumpeln
und im Zwischenraum zwischen zwei Waggons
erschreckend
eine Zehntelsekunde nur sichtbar
ist ein Mensch
der rittlings auf einem Puffer sitzt
beide Arme zum Jubel hochreckt
eine spitze Nase und Zahnlücken
und ein wildes Lachen hat
und sich die Seele aus dem Leib kreischt.

Schon donnern weitere Waggons vorüber
bis fauchend der Letzte heranbraust und den anderen nachhetzt
danach stösst der Wind Metallgeruch, Staub und alte Blätter über das Perron.

Das Scheppern verliert sich
verrieselt im eigenen Echo
und die Wartenden blicken vor sich hin
glätten ihre Haare
als wäre nichts gewesen.

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Ein Gedanke zu “Am Bahnhof Rheinfelden

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